August 27, 2020
Die wirtschaftliche Situation der Photonikbranche ist in den letzten Jahren von Wachstum geprägt – das zeigt der Report des Branchenverband OptoNet, der 180 Thüringer Unternehmen der Branche alle zwei Jahre zu der aktuellen Situation befragt. So konnte 2019 im Vergleich zum Vorjahr eine Umsatzsteigerung von 0,2 Mrd. Euro realisiert werden. Stolze 12 Prozent dieses Umsatzes haben die Unternehmen in Forschung und Entwicklung investiert, was auf eine hohe Innovationsfreudigkeit der Branche schließen lässt.
Die Konzentration vieler Unternehmen liegt momentan auf inkrementellen Innovationen. Gründe dafür sind zum einen das hohe Expertenwissen, das deutsche Unternehmen in den Bereichen Licht, Simulation Messtechnik- und Systeme aufweisen, wodurch häufig eine Konzentration auf die Verbesserung sehr spezifischer Produkte stattfindet sowie die tägliche Herausforderung der Ressourcenallokation auf unterschiedliche Bereiche.
Die Frage ist: Gibt es weitere Innovationsmöglichkeiten, die etwas mehr outside-the-box-Denken benötigen, aber für die Branche Potentiale bieten könnten? Durch die Veränderung von Markt, Nutzern und Technologien ergeben sich neue Herausforderungen, die möglicherweise momentan von den Unternehmen noch nicht als kritisch wahrgenommen werden, da diese mit ihren jeweiligen Technologien und Anwendungsfeldern zu den Weltmarktführern zählen. Der Blick in die Zukunft und das Aufspüren von weiteren Innovationsmöglichkeiten lohnt sich trotzdem – gerade in einem als so „sicher“ eingeschätzten Markt.
Wie einleitend erwähnt, gibt es im Bereich der optischen Technologien bereits ein hohes Bestreben inkrementell zu innovieren. Aufgrund des hohen Experten Knowhows und der sehr spitzen Produkt-Portfolios vieler Unternehmen, gelingt es, Produkte und Technologien bis ins kleinste Detail zu perfektionieren. In den Bereichen Prozessinnovation, Paradigma-Innovation und Marktinnovationen gibt es jedoch noch viele weitere Möglichkeiten, mit denen sich die Branche auseinandersetzen könnte, um Potentiale zu nutzen und bei einer potenziellen Disruption des Marktes oder einzelner Marktsegmente weiterhin erfolgreich zu bleiben.
Vielsprechende Möglichkeiten gibt es vor allem im Bereich des anwendungsbasierten Innovierens. Gerade wenn der Markt durch andere, neue Player gestört wird und, durch den Einsatz neuer Technologien, Produkte beispielsweise günstiger angeboten werden können, kann das eigene Produkt-Portfolio, trotz hochentwickelter Lösungen, plötzlich nicht mehr profitabel genug sein. Ein Beispiel findet sich in der Automobilbranche. Wenn zukünftig autonomes Fahren massentauglich werden sollte, stellen sich grundlegende Fragen, wie bestehende Produkte und damit verbundene Technologien, z.B. hochfunktionale und auf Reichweite ausgelegte Beleuchtungssysteme, an Relevanz behalten. Hier findet eine Verschiebung des Nutzungskontext von der Ausleuchtung des automobilen Vorfelds für eine bessere Sicht, hin zu innovativen Ausleuchtungsmöglichkeiten im Innenraum statt.
Einige Unternehmen binden innovative Möglichkeiten bereits sinnvoll ein. Eine Übersicht einiger Best-Practice Beispiele:
Der Trend zum hohen Spezialisierungsgrad und hochpräzisen Systemen in der Branche wirft unter dem Gesichtspunkt von volatilen und komplexen Umwelt- und Marktbedingungen die Frage der Notwendigkeit und des nachhaltigen Nutzens auf, die durch die starke Prägung durch Ingenieure und des damit einhergehenden Mindsets, dass alles, was technisch möglich ist, auch umgesetzt werden sollte, teilweise in den Hintergrund zu geraten vermag. Wenn diese Hürde jedoch bewältigt wird und Unternehmen mehr outside-the-box-Denken anstreben würden, ergeben sich viele weitere Möglichkeiten des Innovierens in wesentlich breiteren Nutzungskontexten. Neben der technischen Präzision könnten Kundenzentrierung und Schnelligkeit mehr in den Fokus rücken. Ein intensives Market-Screening, beispielsweise durch die Szenarioanalyse, kann helfen, mögliche Gefahren und Probleme der Ressourcenallokation zu lösen und Potenziale frühzeitig in die strategische Ausrichtung und Produkt- und Serviceentwicklung mit einfließen zu lassen. Gerade das Thema additive Fertigung oder Produkte mit dem 3D-Drucker zu produzieren, wären neue Ansätze, die eine schnellere Produktion ermöglichen würden und somit eine bessere Reaktion auf Marktbedürfnisse ermöglichen würde. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass:
Wenn wir nun von der allgemeinen Frage nach Innovationen im Photonik-Bereich etwas mehr ins Detail gehen, lassen sich die oben aufgeführten Anknüpfungspunkte spezifizieren. Diese Frage lässt sich beantworten, wenn man die unterschiedlichen Innovationsarten genauer anschaut und dabei analysiert, welche Möglichkeiten sich hier für den Photonik-Bereich ergeben. Im Bereich der Prozessinnovation ist es daher sinnvoll, sich momentan bestehende Herausforderungen im klassischen Produktionsprozess anzuschauen und daran anknüpfend Möglichkeiten für Innovationen abzuleiten. Das lässt sich an einem Beispiel erläutern: Um eine neue Idee der optischen Auslegung von Leuchten zu prüfen, müssen Daten von Messsystemen in Simulationssysteme übertragen und mit konstruktionsseitigen Elementen verknüpft werden. Hier tritt jedoch häufig die Problematik von fehlenden oder zu vielen Schnittstellen auf, die Daten nicht übertragbar oder fehleranfällig werden lassen. Innovationsmöglichkeiten entstehen hier also beispielsweise durch digitale oder selbstlernende Systeme, die einen schlankeren und weniger fehleranfälligen Datenaustausch möglich machen könnten. Es könnten sich also digitale Technologien wie künstliche Intelligenz und Machine Learning näher angesehen werden, um Möglichkeiten der Übertragung auf eigene Prozesse zu eruieren. Eine selbstoptimierende Auslegung von optischen Systemen unter Angabe der lichttechnischen Zielparameter des Systems und anschließend im Raum oder auf der zu beleuchtenden Fläche, kann hier eine zukünftige Innovation darstellen.
Neben möglichen Prozessinnovationen ergeben sich für die Branche auch auf organisationaler Ebene Möglichkeiten des Umdenkens. Durch den bestehenden Fachkräftemangel sieht sich die Branche auch jetzt schon mit einem War for talents konfrontiert. Um als attraktiver und innovativer Arbeitsgeber wahrgenommen zu werden, sollten Themen wie mobiles und ortsunabhängiges Arbeiten durch die Bereitstellung von Daten in Cloudsystemen realisiert werden. Einen Schritt weitergedacht, könnte beispielsweise AWS als Rechenzentrum genutzt werden. Beratungen und Schulungen für neue Arbeitsmodelle (beispielsweise agiles Arbeiten) und den Aufbau von Wissensmanagementsystemen wären weitere Anknüpfungspunkte.
Ganz allgemein gesprochen gibt es in der Branche viele Möglichkeiten, über den Tellerrand hinauszuschauen und damit neue Potenziale aufzubauen und zielgerichtet sowie kundenzentrierter zu agieren. Neben den genannten Beispielen für Prozess und Paradigma-Innovationen spielt die Kooperation mit anderen Playern der eigenen und anderer Branchen eine große Rolle. Beim Aufbau und Design von Softwarebasieren Mess- oder Auslegungssystemen, müssen beispielsweise komplexe UX-basierte Bausteine nicht selbst, sondern könnten in Kooperation oder mit darauf spezialisierten Firmen, entwickelt werden. Durch das Hinzuziehen von anderen Disziplinen und Kompetenzen können Prototypen schneller realisiert und erprobt werden, weil Ideen, Tools und das Knowhow von anderen genutzt werden können.
Wie bereits mehrfach angeklungen, sollte die Photonikbranche sich intensiver mit Branchen beschäftigen, die bereits in hohem Maße agil arbeiten oder sich momentan im Wandel befindet. Die Softwarebranche ist hier ein klassisches Beispiel. Hier lassen sich Inspirationen und Best-Practice-Beispiele finden, wie mit digitalen Tools gearbeitet werden kann oder HR-Prozesse umstrukturiert werden können. Themen wie Big Data, Künstliche Intelligenz oder Addtitive Fertigung können so den Einzug in die Photoniksbranche finden und nutzbar gemacht werden.
Auch die Produktionsbranche bietet viele Möglichkeiten, Anregungen für automatisierte Prozesse und den Umgang mit digitalen Daten zu akquirieren. Durch die Beschäftigung mit den Arbeitsweisen branchenfremder Unternehmen können viele Ideen für das eigene Geschäft generiert und Kooperation ermöglicht werden.
Am 15. September 2020 fand ein Impulstag über die Innovationsmöglichkeiten der Photonikbranche statt. Gemeinsam mit OptoNet, dem Photoniknetzwerk Thüringen, wurden in der Baumwollspinnerei in Leipzig über die oben angesprochenen Themen diskutiert und gemeinsames Innovationspotenzial ausgelotet.