October 29, 2019
Wir schreiben das Jahr 2019. Die Versicherungsindustrie steigert weiterhin jährlich ihre kumulierten Bruttoprämien und prognostiziert - Jahr ein Jahr aus - eine wohlwollende und prosperierende Zukunft. Der längst tot gesagte Ausschließlichkeitsvertrieb existiert noch immer und macht – dank nicht vorhandenem Provisionsdeckel – gute Miene zum (noch) guten Spiel (*Langsam legt sich ein Schatten in Form des LVRG2s über den Horizont*).
Endkunden haben noch immer keine Lust, sich mit Versicherungsprodukten zu beschäftigen und auch die zahlreichen bunten Apps – einst Heilsbringer – verstauben in den digitalen App-Stores …
Kurzum: Die Assekuranz scheint, wie sie schon immer war – friedlich, irgendwie zufrieden mit sich selbst und doch ungeliebt durch Außenstehende… Ja wären da nicht Sie… die Eindringlinge; die Veränderer und selbsternannten Retter einer ganzen Industrie; die digitalisierten Kreuzzügler, die Kunden zu Fans machen wollen, den Versicherungskauf zu einem Erlebnis und dies alles auch noch zu einem Bruchteil der heute selbstverständlich scheinenden Kosten: die DigiInsurers.
Nischenversicherungsprodukte treffen auf Massenmarkt; Digitaler Vertrieb auf Ausschließlichkeit, Endkundenausrichtung auf B2B-Ansätze, Bootstrapping auf irrwitzige VC-Millionen und Versicherungstöchter auf unabhängige Gründungen. Spricht man von dem digitalen Versicherer, tut man sicherlich allen unrecht. Was sie aber gemeinsam in ihrer DNA vereint, ist der Ansatz, digitale und effiziente Prozesse zu kreieren, die das schwer verdauliche Thema Versicherung, hin zum Kunden (aber nicht zuletzt auch intern) entwickeln und verständlicher sowie einfacher gestalten. Ihr Anspruch liegt vermeintlich daher auch nicht in exorbitanten Kundenzahlen (1.000 bei Ottonova (*2018)) oder dem Gesamtprämienvolumen (700.000 EUR bei ONE (*2018)), sondern in der Aufarbeitung der längst überfälligen Hausaufgaben einer gesamten Industrie.
Waren die ersten beiden Wellen der InsurTech-Bewegung noch von Ideologie und Naivität getrieben, sehen wir in den Digitalversicherern die ersten wahren Early Adopter – Unternehmen mit hoher Fach- und Branchenkompetenz, die auf der grünen Versicherungswiese Ansätze vertesten, die in - von historischen Altlasten geprägten - Versicherungsunternehmen oftmals gar nicht möglich, aber doch umso notwendiger sind. Denn eins ist sicher: Langfristig wird sich die bemerkenswerte Anomalie unseres Marktes (Ineffiziente Prozesse und Strukturen generieren mittels akquiriertem und ungeliebten Produktportfolio erhebliche Gewinne) nicht aufrechterhalten lassen. Aussagen traditioneller Player wie diese, dass etwas nicht in unserem Bestandsführungssystem abbildbar ist oder dass wir die digitale Schadenmeldung nicht in unsere IT-Struktur eingebunden bekommen sind im Wettbewerb mit digitalen Akteuren längst nicht mehr tragbar.
Digitale und branchenfremde Anbieter warten nur darauf, das vorherrschende Delta mittels ihrer Kernkompetenzen anzugreifen und langfristig zu schließen. Daher ist jeder einzelne Schritt der vorzufindenden Innovationsbemühungen, hin zu einem kundenzentrierten Versicherungsanbieter, isoliert betrachtet wohl nicht heilsbringend, epochal oder gar disruptiv doch ein wichtiger Teil auf dem Weg in eine zeitgemäße Versicherungswirtschaft. Denn sicher ist: Nur die konsequente Digitalisierung aller Prozesse kann langfristig zu einem Kundenerlebnis führen, das Versicherungsunternehmen zu mehr als bloßen Vertragsverwaltern macht und somit (hoffentlich) die Relevanz einer ganzen Industrie langfristig sicherstellt.
Also – nein– um Hype geht es hier schon lange nicht mehr, sondern vielmehr um ein kalkuliertes und notwendiges Vorgehen zur Erneuerung einer mehr als hundertjährigen Industrie, die kurz davor ist, sich selbst abzuschaffen. So mögen Digitalversicherer final nicht die proklamierten Retter sein, als die sie oft überspitzt karikiert werden, aber vielleicht Pioniere, die heute belächelt und morgen schon gefeiert werden.
Innovation and Business Designer, Part of the Management Team