October 28, 2022
Dass Daten das neue Öl sind, ist spätestens seit der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel allseits bekannt, die Daten zum Rohstoff der Zukunft erklärte. Aber die Frage, was das konkret bedeutet und welche Daten man wie nutzen kann, ist damit noch lange nicht geklärt. Versicherer haben und nutzen heute schon viele Daten, um Produkte und Tarife zu gestalten oder neue Vertriebsaktionen anzugehen, doch was bedeutet dies für die Schadenbereiche? Man könnte sich dazuhinreißen lassen, die Verarbeitung und Analyse von Daten als integrierten Bestandteil im Schadenprozess als Neuland zu bezeichnen. Welche Daten hier zur Verfügung stehen und wie man diese nutzbar machen kann, wird im Folgenden diskutiert.
Klassischerweise sind Versicherer gut darin, eigene grundlegende Daten zu sammeln. Ein starker Fokus liegt hier auf den Kunden-, Vertrags- und Schadendaten und neuerdings auch Prozessdaten. In ausgedehnten Datawarehouses werden diese Daten seit Jahrzehnten gesammelt und für Analysezwecke vorgehalten. Allerdings stammen Datenstruktur und -umfang oft auch noch aus dieser Zeit und es wurden seitdem wenig verändert aber vor allem wenig erweitert. Die Informationen und alles, was an Daten gesammelt und erfragt wird, fließt in die Datenspeicher, und diese Prozesse (z. B. einen Vertragsantrag) haben einen eigenen originären Fokus und weniger den Blick auf die spätere Datennutzung.
So kommt es, dass Versicherer zwar beispielsweise wissen, wie alt ein Kunde ist und an welcher Adresse er wohnt, nicht aber, was die Interessen eines Kunden sind, ob er digital affin ist oder wie seine Zukunftspläne aussehen.
Das Gleiche gilt auch für die versicherten Objekte, für die man etwa eine grobe Eingruppierung der Bauart hat oder die Versicherungssumme kennt, aber nichts darüber weiß, wie das Wohngebiet generell aussieht, wie es strukturiert ist und welche Baumaßnahmen wann vorgenommen wurden. Im Schadenbereich weiß und kennt der Versicherer viel über den Schaden, die Höhe eines Schadens, welche unterschiedlichen Arten an Leistung für bzw. in der Schadenbehebung bezahlt wurden, aber nichts über das genaue Schadenbild, welche Objekte im Schaden repariert werden mussten, was dort tatsächlich an Arbeit erbracht wurde und was an Material eingesetzt wurde.
Das bedeutet aber nicht, dass diese Daten nicht existieren, sondern nur, dass sie nicht extrahiert, genutzt und/oder gespeichert werden. Über intelligente und dynamische Fragelogiken können im Kundenkontakt viele Daten für explizite Folgeschritte oder -prozesse erhoben werden. Dadurch können direkt strukturierte Daten oder Antworten auf explizite Fragen erhalten werden. Diese Art der Datenerhebung hat aber eine natürliche Begrenzung, die in dem Wissen und der Fähigkeit des Befragten begründet liegt. Glücklicherweise gibt es aber externe Datenquellen, mit deren Hilfe fehlende Daten substituiert werden können. Statistische soziodemographische Daten lassen beispielsweise Rückschlüsse auf Einkommensverhältnisse oder Konsumverhalten zu. Gebäudedaten können helfen, eine Einschätzung der Häuserstruktur und Wohnverhältnisse zu erhalten und damit auf den allgemeinen Gebäudezustand zu schließen. Diese Daten können auf dem Markt einfach eingekauft werden und eine Verknüpfung mit den eigenen Daten ist über vorhandene Schlüssel, wie die Adresse, einfach möglich.
Auch diese Daten können wiederum nur einen Teil der Datenmenge auffangen. Gerade im Schadenfall ist eine dezidierte Information, was dort eigentlich passiert ist, was betroffen ist und wie genau die Schadenbehebung durchgeführt werden soll, schwer strukturiert zu erfragen oder über statistische Daten ableitbar. Glücklicherweise stehen auch hier immense Datenmengen zur Verfügung, die heute oft noch nicht genutzt werden. Zu (fast) jeder Regulierungsanforderung gehört eine Kostenaufstellung in Form eines Kostenvoranschlages oder einer Rechnung. Diese werden auch heute noch weitestgehend als Belegdokumente in nicht-strukturierter Form an die Versicherung geschickt, die diese Dokumente manuell bearbeitet. Dabei lässt es die heutige Technik- und Methodenlandschaft zu, dass die Daten aus diesen Dokumenten strukturiert und vollumfänglich extrahiert und aufbereitet werden – nicht zuletzt durch Dienstleister, die sich in den vergangenen Jahren in diesem Bereich im Regulierungsprozess bereits bewährt haben. Dadurch besteht die Möglichkeit, Folgeprozesse anzustoßen und die Servicequalität der Schadenprozesse zu optimieren. Von einer KI-basierten Fallbewertung über eine strukturierte Deckungsprüfung bis zur vollautomatisierten Auszahlung und ganz viel dazwischen kann ein breites Anwendungsspektrum durch verhältnismäßig wenig Aufwand erschlossen werden. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass man die zusätzlichen Daten auch in die Prozesse integriert und wiederverwertbar persistiert.
Dr. Jan Wiltschut ist als Product Manager „Data Solutions“ bei der Firma Eucon Digital GmbH für das Thema datengetriebene und KI-unterstützte Produkte und Prozesse verantwortlich. Davor war er im Provinzial Konzern für das Thema „Künstliche Intelligenz im Schadenbereich“ zuständig. Hierbei beschäftigt er sich mit der Identifikation, Bewertung, Entwicklung und Umsetzung von KI-Use Cases, die die Schadenprozesse hinsichtlich Ertrag, Effizienz und/oder Kundenzufriedenheit verbessern. Er hat über das Thema computational neuroscience promoviert, konkret über die Entwicklung eines biologisch motivierten neuronalen Netzes für den (frühen) Sehprozess von Säugetieren. Vor seiner Zeit bei der Provinzial war er als Consultant schon einmal bei der Firma Eucon GmbH auf dem Gebiet des Automotive Aftersales beschäftigt.