April 9, 2021

Customer Experience Management als Teil des gesamten Unternehmens

Im Interview mit Amelie Höllersberger von LV 1871

Interview

Kundenfokus

Prozessautomatisierung

Eine neue Stelle – ein umfassender Perspektivwechsel: So ergab es sich für die LV 1871 mit der Neueinstellung von Amelie Höllersberger 2019. In unserem Interview zeigt sie uns als CX Managerin, was es bedeutet, Customer Experience Management im gesamten Unternehmen zu etablieren und erklärt, wie es funktioniert, dass alle Beschäftigten im Alltag durch die Kundenbrille schauen.

Amelie, in drei Stichworten: Was bedeutet CXM für dich?

Für mich bedeutet CXM kurz ausgedrückt vor allem Perspektivwechsel, Kundenbedürfnisse und Wandel.

Seit wann gibt es CXM bei der LV 1871?

Offiziell gibt es CXM bei uns seit Juli 2019, als ich neu in das Unternehmen eingestiegen bin.

Bist du mit dem Ziel CXM ins Unternehmen gekommen oder wurde dafür eine Stelle geschaffen?

Tatsächlich war es so, dass die LV 1871 jemanden für das Thema Customer Experience Management gesucht hat und ich davor in der Beratung tätig war. Ich hatte Lust auf einen Wechsel und habe sehr gezielt nach einer Stelle als Customer Experience Manager gesucht, war branchenoffen und bin so auf die Stelle aufmerksam geworden.

Was ist das Ziel eures CXM bei der LV1871?

Wir möchten alle unsere Kunden optimal auf ihrer persönlichen Reise begleiten und positive Erlebnisse schaffen. Wir hören ihnen zu und versuchen, uns in jedem Prozess und an jedem Touchpoint in sie hineinzuversetzen. Seit knapp zwei Jahren arbeiten wir daran, erst einmal diesen Ist-Zustand herzustellen. Wir haben im Voraus festgelegt, dass wir uns in keine Wunschwelt denken wollen, im Sinne von: Wie sieht die Welt für unsere Kunden im Idealfall aus? Stattdessen haben wir erstmal den aktuellen Zustand abgebildet, indem wir uns ein paar Fragen gestellt haben.

  • Wie ist denn die Situation aktuell überhaupt für unsere Kunden?  
  • Welche Customer Journeys gibt es?  
  • Welche Touchpoints gibt es?  
  • Wie erleben Kunden diese?  
  • Wie zufrieden sind sie?  
  • Welche Erwartungen haben unsere Kunden?  

Anhand von diesen Stellschrauben wollen wir schauen, wo wir noch etwas verändern müssen an unserer Customer Journey. Wir fragen uns immer wieder, wo wir optimieren und wo wir vielleicht Quick Wins erzielen können. Dabei wird sichtbar, an welchen Stellen wir eine Ebene höher denken sollten. Damit meine ich zum Beispiel, wann es sich lohnt, über neue Systeme, Produkte oder Services nachzudenken.

Wir möchten alle unsere Kunden optimal auf ihrer persönlichen Reise begleiten und positive Erlebnisse schaffen. Wir hören ihnen zu und versuchen, uns in jedem Prozess und an jedem Touchpoint in sie hineinzuversetzen.

- Amelie Höllersberger

Was passiert nach dieser Einführungsphase?

Die zweite Phase wird nochmal kundenzentrierter. Es geht nicht mehr um die von uns gestaltete Customer Journey und die Touchpoints wie in Stufe 1, sondern um die konkreten Erwartungen und die Zufriedenheit der Kunden. Hierbei werden, wie im gesamten Prozess, alle Abteilungen einbezogen. Es kommt also darauf an, wie viele Responses wir haben und wie weit jedes Team ist, sodass die sich die Entwicklung der Journeys in unterschiedlichen Phasen befinden kann.

Was sind die größten Hürden und Herausforderungen bei der Einführung?  

Ganz klar: Die Bereiche davon zu überzeugen, dass CXM unsere Zukunft ist und nicht ein kurzweiliger Trend. Es geht darum, Kollegen zu motivieren und eine passende Arbeitsstruktur zu finden. Zuerst muss sich die Führungs- und Vorstandsebene für das Customer Experience Management aussprechen. Als ich auf meiner neuen Stelle angefangen habe, bin ich erstmal in alle Abteilungen gegangen, um meine Mission und Vision vorzustellen. Es gab Teams, die waren sofort Feuer und Flamme wie der Kundenservice, weil dort schon ähnliche Überlegungen vorhanden waren. Andere Abteilungen wie der Vertrieb konnten mit CXM zunächst wenig anfangen, weil sie schon immer im Sinne der Menschen gearbeitet haben. Hier musste ich vielmehr davon überzeugen, dass es Sinn macht, das ganze Thema strategisch, übergreifend und vor allem einheitlich zu denken. Mehr Fokus auf Kund*innen heißt nämlich auch mehr Umsatz, was im Endeffekt unser aller Ziel ist.

Ein CX Manager alleine reicht nicht, um eine ganze Organisation zu bewegen. Es wird ein übergreifendes Team an Leuten benötigt, die Lust und Zeit haben, daran zu arbeiten.

- Amelie Höllersberger

Allgemein hatten viele keine Vorstellung davon, was CXM konkret ist. Oftmals wurde es mit den Aufgaben der UX verwechselt, aber auch in Verbindung mit Design Thinking gebracht. Es ist also sinnvoll, die Erwartungshaltungen und Ziele glattzuziehen, um sie dann im gesamten Unternehmen zu festigen.

Was waren eure größten Learnings?  

Ich denke, die Erkenntnis, dass CXM ein strategisches Unternehmensziel sein muss. Wenn das bei allen verankert ist, dann entsteht eine Community und es braucht keinen Vortänzer. Dann ist CXM effizient – wenn Kollegen Eigenverantwortung übertragen wird, weil Ressourcen und Budget durch CXM natürlich nicht weniger wichtig werden.  

Auf persönlicher Ebene ist es zum Beispiel auch wichtig, Kollegen Ängste und Sorgen in ihrer neuen Perspektive zu nehmen, vor allem im Bereich der Sachbearbeitung. Viele befürchten, dass durch CXM Arbeit wegrationalisiert wird oder langjährige Prozesse vollständig in Frage gestellt werden. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen und ihnen zu zeigen: Ich bin dazu da, euch zu helfen, weil ihr interne Kunden seid. Ihr seid genauso wichtig wie die Kunden da draußen. Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Learning gewesen.  

Wie hilft euch CXM im Alltag?

Der Wandel an sich hin zum CXM hilft uns ganz stark – also die Kundenbrille aufzusetzen und die Perspektive zu wechseln. Am Anfang sind wir mit einer kleinen Übung gestartet, indem wir alle Unternehmensprozesse dokumentiert und in die Kundensicht übersetzt haben. Das war ein unglaubliches Aha-Erlebnis.

Customer Experience Management zieht sich also durch das gesamte Unternehmen, wobei trotzdem noch alle in ihrem Tätigkeitsfeld denken. Es geht mehr darum, zu reflektieren, wann fängt mein Part an, wo hört er auf und was kommt davor und danach.

- Amelie Höllersberger

Vor allem bei Prozessen, die durch mehrere Abteilungen gehen, verliert man manchmal das Ziel vor Augen – und das sind unsere Kunden. So haben wir festgestellt, dass ein bisschen mehr Transparenz und Kommunikation einiges verbessern kann. Hierfür haben wir viel mit Customer Journey Mapping gearbeitet, was zum Dialog zwischen den Abteilungen geführt hat. Customer Experience Management zieht sich also durch das gesamte Unternehmen, wobei trotzdem noch alle in ihrem Tätigkeitsfeld denken. Es geht mehr darum, zu reflektieren, wann fängt mein Part an, wo hört er auf und was kommt davor und danach. So konnten wir genau feststellen, wann die Probleme bei unseren Kunden auftreten.  

Mittlerweile haben wir dafür eine CX Community oder wie wir sie nennen, unsere CX Friends. In dem Rahmen bieten wir kleine Lernformate an, die alle Kollegen im Alltag einsetzen können. Das heißt, sie brauchen mich gar nicht als CX Manager, die ihnen Praxisanweisungen gibt, sondern sie können die Formate direkt bei der täglichen Arbeit ausprobieren. Dabei merken dann alle, wie sehr es ihnen hilft, kundenzentriert zu arbeiten. Außerdem gibt es viele Kollegen, die zur Kundenzentrierung schon lange gute Ideen in der Schublade hatten, aber nie das nötige Gehör dafür gefunden haben. Unser Austausch schafft diesen Raum.

Was würdest du Unternehmen und insbesondere Versicherern raten, die CXM umsetzen wollen?  

Also ich glaube, gerade als Versicherer ist es wichtig, sich am Anfang darüber klarzuwerden, wer denn eigentlich die Kunden sind. Bei uns ist es so, dass wir das größte Geschäft über unabhängige Versicherungsvermittler abschließen. Wir mussten also erstmal erkennen, dass nicht nur die Versicherungsnehmer unsere Zielgruppe sind, sondern auch die Vermittler. Das führt dazu, dass wir kein reiner Vertriebskanal sind, sondern ein wechselseitiges Verhältnis zwischen uns und den Vermittlern besteht. Sie sind unsere Kunden und wir sind ihre.

Wenn ich vorher super betreut wurde, tolle Touchpoints hatte und aber nach Versicherungsabschluss fallengelassen werde, dann schreibe ich eine schlechte Google-Rezension.

- Amelie Höllersberger

Außerdem sollte von Beginn an klar sein, dass alle Beschäftigten gleichermaßen ins CXM einbezogen werden müssen, damit es funktioniert. Das gilt natürlich für alle Branchen. Es wäre ein Fehler, Customer Experience Management nur mit dem Marketing und dem Vertrieb anzugehen. In Bezug auf die Assekuranz gilt das vor allem, weil die kundenseitigen Interaktionen ja eigentlich erst nach der Entscheidung für das Produkt stattfinden. Wenn ich vorher super betreut wurde, tolle Touchpoints hatte und aber nach Versicherungsabschluss fallengelassen werde, dann schreibe ich eine schlechte Google-Rezension. CXM funktioniert also gar nicht, ohne dass man die gesamte Customer Journey im Blick hat. Wesentlich ist es auch, Messkriterien zu schaffen, um Erfolge messbar und greifbar zu machen.

Beeinflusst CXM also die gesamte Unternehmenskultur?  

Ja, definitiv. Nur, weil gesagt wird, wir arbeiten jetzt kundenzentriert, macht das ja keiner. Wir können keinen Schalter umlegen, dafür ist es zu umfassend. Es hat viel damit zu tun, wie wir Prozesse denken, Produkte planen, welche Methoden wir anwenden und in welchen Teams wir arbeiten. Was uns angeht, sind wir dabei noch “in the making“. Viele Prozesse haben wir schon verändert und bei anderen dauert es länger, bis wir aus alten Strukturen ausbrechen können.  

Ein CX Manager alleine reicht nicht, um eine ganze Organisation zu bewegen. Es wird ein übergreifendes Team an Leuten benötigt, die Lust und Zeit haben, daran zu arbeiten. Außerdem braucht es Support und Sponsoren aus der Führungsebene, Ressourcen und Budget. Ganz wichtig bei neuen Themen: Man sollte sehr schnell auf die Frage “Warum brauchen wir Kundenzentrierung?” antworten können.  

Amelie Höllersberger

Customer Experience Manager bei der LV 1871

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