August 12, 2022
Der Begriff der Digitalen Transformation ist beinahe allgegenwärtig, doch was meint er eigentlich? Häufig wird er mit Change Management und Innovation gleichgesetzt. Vielmehr gilt es jedoch, Schnittmengen zwischen allen drei Komponenten zu bilden und sie dabei in ihrer Funktion als solche zu begreifen. Dr. Michael Wächter und Dr. Justine Walter erklären im Interview, warum es für alle Branchen lohnenswert ist, sich digital zu transformieren und welchen Nutzen dieser Wandel für die Arbeitswelt von morgen mit sich bringt.
Michael: Am besten lässt sich digitale Transformation erklären, indem man sich vor Augen führt, was sie eben nicht ist. Sie bedeutet nämlich nicht, mit Rechnern zu arbeiten und Mails zu schicken. Es geht darum, die Prozesse, die man lebt, mit digitalen Tools zu gestalten und die Daten, die dabei generiert werden, weiterführend zu nutzen. Dazu gehört unter anderem, dass die Zusammenarbeit überwiegend digital unterstützt stattfindet. Wenn Daten effizient verwertet und miteinander verknüpft werden, entstehen neue Erkenntnisse zu Zusammenhängen, die erst viel später oder gar nicht feststellbar wären. So bildet sich mehr Raum für Innovationen und neue Geschäftsmodelle.
Michael: Die Corona-Pandemie war ein Katalysator für die digitale Transformation in Unternehmen. Die damit verbundenen Möglichkeiten sind weniger das New Normal, sondern eher das Next Normal, da sich die Arbeitswelt dank digitaler Prozesse immer schnellzyklischer an die Bedürfnisse der Unternehmen, Menschen und Generationen anpassen kann.
Justine: Neue Konzepte der Zusammenarbeit leben davon, dass sie in die Praxis umgesetzt werden und um das zu tun, müssen die Menschen erst einmal dafür begeistert werden. Meistens unterscheiden sich Prozesse in der Praxis davon, wie sie ursprünglich geplant waren, weshalb eine gewisse Flexibilität vorteilhaft ist. Kultur kann nicht einfach so verändert werden, sie muss sich allgemein etablieren. Unternehmen können Impulse setzen, indem zum Beispiel digitale Tools zur Zusammenarbeit eingeführt werden. Werden diese angenommen, etabliert sich die Nutzung in der Arbeitsweise – wenn nicht, sollten die Prozesse bzw. Tools nochmal bedarfsgerecht angepasst werden. Mit diesem wechselseitigen Vorgehen entsteht sozusagen eine digitale Zusammenarbeitskultur. Außerdem ergänzen sich New Work und die digitale Transformation insofern, als dadurch Anforderungen wie eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit und des Arbeitsorts möglich werden. Die digitale Transformation hängt also eng mit den in Anbetracht des Generationenwechsels immer relevanteren Themen Employer Branding und New Work zusammen.
Michael: Grundsätzlich ist Transformation als Veränderung zu verstehen. Dabei ist es essenziell, die am Veränderungsprozess beteiligten Menschen mitzunehmen. Es ist egal, wie viele digitale Tools zur Anwendung kommen und welchen Mehrwert die digitale Transformation für das Unternehmen und die Generierung neuen Wissens schafft: Wenn Menschen den Wandel nicht unterstützen, wird er nicht erfolgreich.
Justine: Die Aussage “Digitalisierte schlechte Prozesse bleiben schlechte Prozesse” hat ihre Berechtigung. In digitaler Transformation steckt also immer auch die Chance, Prozesse zu optimieren und Strukturen neu zu denken, wenn sie digitalisiert werden. Der Nutzen, der dabei schließlich entsteht, muss dann den Menschen im Unternehmen bewusst gemacht werden – das ist der zentrale Erfolgsfaktor.
Justine: Es gibt für tradierte Branchen einen ganz klaren inneren und äußeren Nutzen. Der innere Nutzen geht vor allem auch mit dem eben angesprochenen Generationenwechsel einher, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Allerdings profitieren natürlich alle Mitarbeiter von digitalen Tools, indem Prozesse weniger präsenzgebunden, flexibler und effizienter werden. Der äußere Nutzen zeigt sich unter anderem darin, dass die Anforderungen der Kunden besser bedient werden können. Wie Michael schon gesagt hat, ermöglichen digitalisierte Prozesse neue Optionen der Datenverarbeitung und -auswertung, sodass kundenzentrierte Produkte entstehen können, wie z. B. die Möglichkeit, die Versicherungsverwaltung über eine App zu vollziehen. Indem Unternehmen digital affine Mitarbeiter gewinnen, erreichen sie die Zielgruppe besser, weil diese natürlich auch immer digitaler wird.
Michael: Ich denke, sich digital zu transformieren, lohnt sich für alle Branchen. Allerdings stehen traditionellen Branchen derzeit noch die meisten Möglichkeiten offen – eben, weil sie bisher noch nicht so digital aufgestellt sind. Dadurch, dass sie noch am Anfang stehen, haben sie nun die Möglichkeit, analoge Prozesse von Grund auf zu hinterfragen und sich möglichst effizient mit digitalen Tools auszustatten.
Michael: Damit der Prozess im gesamten Unternehmen durchgeführt werden kann, sollte zunächst die Führungsebene den Wandel voll und ganz unterstützen. Außerdem lohnt es sich, alle Mitarbeiter und Generationen in die Planung und Durchführung einzubeziehen, da so direkt auch Motivation und Verständnis für die Transformation entstehen. Es darf nicht vergessen werden, dass Mitarbeiter jeden Alters digitalisierte Prozesse nicht nur im Arbeitskontext, sondern auch in privater Umgebung erleben. Werden vielfältige Erfahrungen in die Digitalisierungsstrategie integriert, besteht die Chance, möglichst alle Erwartungen zu erfüllen, was der erfolgreichen Umsetzung zugutekommt. Bei der strategischen Planung ist es wichtig, losgelöst von alten Vorgehen zu denken und zu überlegen, welche Prozesse oder auch Produkte mit Innovationen einhergehen könnten, um am Markt konkurrenzfähig zu bleiben.
Justine: Das A und O in erfolgreichen Change-Prozessen ist Kommunikation. Dabei ist enorm wichtig, dass Mitarbeiter mitgestalten können, den Wandel aber nicht als zusätzliche Belastung neben dem Tagesgeschäft empfinden. Es gilt also, strukturiert vorzugehen sowie Räume und Zeit für den Digitalisierungsprozess zu schaffen, sodass alle mitmachen können und wollen.
Senior Manager Corporate Communications