March 12, 2021
Das individuelle Erlebnis der Zielgruppe steht im Fokus, um als Unternehmen davon zu profitieren: Das verspricht ein erfolgreiches Customer Experience Management (CXM). Wir haben hierfür mit Dr. Judith Glüsenkamp gesprochen, Expertin bei MSR für CXM, wo sie das Kompetenzfeld von Beginn an aktiv mitgestaltet hat. Im Interview spricht sie von der aktuellen Sehnsucht nach Erlebnissen, die Menschen durch Marken im Alltag erfüllt sehen wollen. Außerdem erklärt sie schrittweise, welches Vorgehen für ein gutes CXM sinnvoll ist. Was wird häufig unterschätzt und was ist besonders wichtig? Zwei der Schlüsselaspekte sind die direkte Verbindung von datenbasierten Analysen zur Organisationskultur und das große Potenzial von AI im Customer Experience Management. Außerdem berichtet sie aus ihrer eigenen
Erfahrung, CXM im Unternehmen zu etablieren.
Covid-19 beschleunigt viele Trends, die wir eh beobachtet haben. Am offensichtlichsten ist natürlich die stark gewachsene Bedeutung digitaler Angebote und Services. Dabei haben wir festgestellt: Es geht den Kunden meist nicht um Ersatz der analogen Services, Angebote und Kanäle, sondern um die bestmögliche Integration und „Seamless experience“. Ein weiterer Trend ist die Forcierung der „Experience economy“: Es geht zunehmend um das Erleben – die physischen oder produktseitigen Eigenschaften sind nur die Basis oder der „Erlebensträger“. Ungefähr so wie man bei Ikea nicht nur Möbel kauft, sondern auch die schöne, anregende Wohnausstellung und den leckeren Hotdog als Belohnung genießt. Der Lockdown hat uns deutlich vor Augen geführt, wie sehr wir uns nach Erlebnissen und einer gut orchestrierten Experience sehnen. Genau dies ist die Zielsetzung von Customer Experience Management.
Mit anderen Worten geht es hier um Empowerment der Einheiten: Durch das Feedback ergibt sich ein selbstgesteuerter Lernprozess.
- Dr. Judith Glüsenkamp
Wir haben vor Jahren ein Modell entwickelt, das CXM in sechs Schritte einteilt. Im ersten Schritt sollte man die wesentlichen Stakeholder, vor allem auch das Management, ins Boot holen und gemeinsam Ziele definieren. Dazu braucht es meist eine Kosten-Nutzen-Abschätzung „Was bringt das Ganze für den Geschäftserfolg?“ Im zweiten Schritt, oft auch parallel, startet die Arbeit mit den Customer Journeys. Viele Unternehmen machen da bereits viel – wichtig ist ein systematischer Antritt, um die für Kunden wichtigsten Journeys auch wirklich streng aus der Kundensicht (nicht der internen Prozesssicht) abzubilden. Im dritten Schritt stellt sich die Frage „Wie messen wir die Kundensicht auf unsere Journeys?“ Denn Kundenfeedback ist der Dreh- und Angelpunkt des CXM.
Bis hierhin sind viele Unternehmen bereits sehr aktiv. Immerhin ist die Messung von Journey Feedback eine natürliche Weiterentwicklung der traditionellen Marktforschung, wenn auch unter veränderten Bedingungen, zum Beispiel der nicht-anonymen Befragung. Richtig interessant wird es ab Step 4: Dann geht es darum, aus der Kundensicht heraus auch Dinge im Unternehmen zu verändern. Dies machen beileibe nicht alle Unternehmen, die CX Management betreiben. Schritt 4 befasst sich mit der Veränderung von Verhalten, Einstellungen und letztlich der Unternehmenskultur hin zu einem kundenzentrierten Denken. Schritt 5 nimmt konkrete arbeitsorganisatorische Aspekte in den Blick. Dies können ganz kleine, schnell zu implementierende Veränderungen in Abläufen, aber auch groß angelegte Prozessoptimierungen aus Kundensicht sein. Im letzten Schritt geht es dann darum, das CX Management so im Unternehmen zu verankern, dass nachhaltig an messbaren Erfolgen in der Kundenorientierung gearbeitet wird.
Der Ansatz des CXM ist, das Kundenfeedback sehr spezifisch zurückzuspielen, so dass sich eine kontinuierliche Evaluations- und Lernschleife ergibt. Die operativen Teams erhalten kontinuierlich „ihr“ Kundenfeedback, also Feedback dazu, wie die Kunden die Abwicklung ihres Anliegens erlebt haben. Das können sowohl spezifische Touchpoints wie Telefonkontakt sein oder auch ganze Journeys wie Neuabschlüsse oder Schadenfälle. Aus dem Feedback lernen die Mitarbeiter, was schon richtig gut läuft (die Mehrheit der Feedbacks ist meist sehr positiv) und was noch besser werden kann. Mit anderen Worten geht es hier um Empowerment der Einheiten: Durch das Feedback ergibt sich ein selbstgesteuerter Lernprozess.
Wir arbeiten mittlerweile in vielerlei Hinsicht mit modernen Data-Science-Ansätzen. Zum einen werden die Kundenfeedbacks in Echtzeit in unsere webbasierten Dashboards integriert, so dass man jederzeit die aktuellen Feedbacks einsehen und auch mit internen Daten verbinden kann. Zum anderen nutzen wir selbstlernende Algorithmen zur Textanalyse: Die Freitexte der Kunden analysieren wir hinsichtlich verschiedener Dimensionen wie Markenerleben usw. Ein weiterer Aspekt sind Predictive Analytics: Wie können wir aus Kundensegment, aktuellem Verhalten und Feedback vorhersagen, was ein Kunde tun wird bzw. welche Bedürfnisse er in Zukunft hat? Hieraus ergeben sich enorme Potenziale hinsichtlich Vertriebs- und Serviceoptimierung, die aktuell noch kaum genutzt werden.
Wenn Sie in der Assekuranz herumfragen, so befassen sich alle Unternehmen mit Kundenorientierung und der Customer Experience. Der „Fear of missing out“-Effekt: Man hat Angst, sonst was zu verpassen. Die Frage ist, wie effektiv dies zu echten Optimierungen für die Kunden führt. Immerhin geht es um einen Paradigmenwechsel in der Assekuranz: Nicht mehr die Sparten sollen die Sicht bestimmen, sondern der Kunde mit seinen Cross-Silo-Erfahrungen. Das wird aus meiner Sicht noch einige Zeit dauern, bis es gut eingespielt funktioniert. Was wir auch noch kaum gesehen haben, ist die komplette Umstellung der Organisationsstruktur auf Journey- oder zielgruppenbasierte Einheiten. Bei aller Liebe zum Kunden scheint dies doch eine sehr große Hürde zu sein.
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arbeitet für MSR im Bereich Financial Services mit dem Schwerpunkt Customer Experience